horse, soldier, warrior

Die letzte Heldin II

1222, Frutigen

Ich renne mit dem Messer in der Hand Richtung Schlafzimmer. Also, Schlafzimmer… Es ist eher ein Massenlager aus Stroh. Ich bücke mich über einen Wasserkrug so das ich mein Spiegelbild sehe. Ich nehme mit zitternden Händen das Messer in die Hand und führe es zu meinen langen Haaren. Ich schneide mit einem Schnitt meine Haare ab, bis sie ganz kurz und strohig sind. Ich bücke mich über den Krug und betrachte mich. Ich sehe ganz anders aus. Wie ein Junge.

Ich schnappe mir ein paar Arbeitshosen von meinem Bruder und ein Hemd, dann renne ich runter in die Küche und beschmutze meine Hände und mein Gesicht mit Schmalz und Dreck. Ich betrachte mich nochmals im Wasser bevor ich hinaus auf die belebte Strasse trete. Ich husche schnell hinter eine Hecke und warte bis eine Truppe Ritter vorbei patrouilliert ist. Dann gehe ich in unsere kleine Scheune hinter unserem Haus und packe mir ein paar Vorräte ein. Dann schreibe ich mit einer Feder eine kurze Nachricht an meine Mutter: Liebe Mutter. Ich werde die nächsten Monate dringend in der Burg Ry gebraucht. Ich werde bald wieder zurückkehren. Mach dir bitte keine Sorgen! Ich werde für das Gute einstehen, so wie es einst Vater tat. In Liebe, deine Tochter Elura.

Mit Tränen in den Augen renne ich die Strasse entlang, in der Hoffnung das Richtige getan zu haben. Als ich von weitem die grosse atemberaubende Burg erblicke, schaue ich voller Ehrfurcht und Zweifel zu ihr hinauf. Ich frage mich manchmal, wie es wohl in mehreren Hundert Jahren hier sein wird? Wird die Burg noch stehen? Wird sie noch bewohnt sein? Wird es vielleicht einmal wieder ein Mädchen geben das sich zu ihr hingezogen fühlt? Wird einmal jemand die gleichen Wege entlang laufen wie ich es gerade tue..? Als ich das grosse Bauernhaus erblicke, ducke ich mich und schleiche mich lautlos hinter den Pferdestall der Fürstenfamilie.

Ich schleiche hinter dem Stall durch die Gärten und über eine Mauer. Nach der Burg entferne ich mich weiter Richtung Hügel. Als ich zum Stein komme, an dem ich schon gestern war, suche ich mir einen kleinen Unterschlupf für meine Vorräte. Dann setze ich mich auf den grossen Stein und blicke wieder zum Baum vor mir, wo gestern der Falke sass. Als ich wieder in Richtung Burg schaue, sehe ich wie wieder der ältere Fürstensohn in meine Richtung reitet. Diesmal sind es aber beide Söhne, fällt mir auf, als ich besser hinschaue. Manico der ältere und Fede der jüngere. Beide haben strahlende Augen und einen Falken auf der Schulter. Sie sind ja nicht um sonst Falkenritter. Die beiden Pferde, auf welchen sie reiten, sind eleganter als der schönste Schwan und ihre Gewänder sind prächtiger als jede Rüstung. Ich ducke mich wieder in mein Versteck, als die beiden vorbeireiten. Beide sprechen aufgebracht. Nein… Sie streiten sogar! Plötzlich, als sie ganz nahe an meinem Versteck sind, höre ich wie Manico verzweifelt schluchzt… Ich spähe vorsichtig über den Stein… Als ich die beiden erblicke, schmerzt etwas ganz doll in meiner Brust. Es wäre als würde ich mit ihnen trauern. Doch innerlich werde ich richtig wütend, wenn ich daran denke, dass der Fürstensohn WEINT! Er hat kein Grund dazu?!

Als die beiden vorbei geritten sind, wage ich mich aus meinem Versteck heraus. Ich laufe wieder Richtung Burg und suche die Ritterunterkunft auf. Als ich dorthin laufe, bekomme ich ein paar abschätzige Blicke. Als ich dann davor stehe, schaue ich auf eine Tafel, auf der die Namen aller Ritter eingetragen sind. Darunter hängt noch eine kleinere Tafel mit einer Liste… Darauf sind alle Jungs eingetragen, die für Ritter geeignet sind. Denn jeder Junge der Ritter werden will, muss eine Prüfung bestehen, die in 5 Tagen stattfinden wird. Hindernisse, Laufen, Kämpfen und noch vieles mehr! Fasst dreiviertel aller Jungs bestehen die gährlichen Tests nicht, Doch gerade in dieser Zeit muss jeder Junge die Prüfung absolvieren. Für alle Mädchen ist es strengsten verboten! Mädchen die sich hier eintragen, droht der sichere Tod am Galgen.

Ich blicke auf die Liste… ich zittere. Soll ich es tun… plötzlich höre ich Schreie… Wieder eine unschuldige Frau die gerade geschlagen und geplagt wird auf dem Burghof. Als ich diesem Geschehen zusehe, kommt mir die Galle hoch, voller Abscheu schaue ich auf die Ritter… Es sind furchtbare Jungs, die gegen ihren Willen Leute töten müssen. Sie können nichts dafür. Sie müssen für den Fürsten arbeiten. Sie sind die einzige Hoffnung! Wenn sich die Ritter gegen den Fürsten wenden würden, wäre er so gut wie verloren… Doch diese Gedanken liegen in der Ungewissheit und in der Unerreichbarkeit. Als ich vor dieser Tafel stehe, wird mir bewusst, was für ein Risiko ich eingehe. Doch was könnte ich wohl damit alles erreichen?

Da kommt plötzlich eine alte Frau angehumpelt und bleibt neben mir stehen. Sie schaut mich an und fragt plötzlich: „Wer bist du?“ Da wird mir bewusst das ich nicht länger Elura sein werde. Ich antworte ihr zögernd: Ich heisse Eloran und wohne unten im Dorf. Die Frau schaut mich abschätzig an und fragt die alles entscheidende Frage, die mein Leben für immer verändern wird: „Und du willst dich als Ritter eintragen?“ Ich schaue sie an und spüre, wie ich Mut fasse und sage: „Ja! Ich Eloran will Ritter werden und für Gerechtigkeit kämpfen!“ Die Frau sieht mich an und fängt an zu lachen: „Du willst Ritter werden? Du wirst die Prüfung nie bestehen! Und für Gerechtigkeit kämpfen… Pah.. das wollen sie doch alle! Machen tuts keiner von allen. Meine Tochter wurde gestern gerade unschuldig in den Kerker geworfen. Das haben Ritter getan die vor 2 Jahren noch behaupteten, sie stehen für Gerechtigkeit ein…“

Als ich der Frau zuhöre, steigen mir Tränen in die Augen. Doch ich unterdrücke sie. Ich muss stark sein. Ich muss kämpfen! Ich werde nie aufgeben. Diese Sätze wiederhole ich mehrere Male, bevor ich meinen Namen in der Liste eintrage. Ich wende mich von der Frau ab und gehe aus der Burg heraus. Ich laufe zielstrebig auf mein Versteck zu und suche mir Feuerholz. Nach dem Abendessen lege ich mich hin und schlafe ein…

Ich stehe auf der Burg Ry, auf meiner Burg, und blicke über das Dorf und den grossen See, der sich hinter dem Dorf erstreckt. Ich verbringe viel Zeit hier oben. Wenn ich einmal Zeit habe, neben meinen Pflichten. Ich Manico, der Fürstensohn von Frutigen darf keine Schwäche zeigen! Ich richte meine goldene Rüstung und blicke hinunter auf meine Hände. An ihnen klebt so viel Blut von unschuldigen Leuten. Ich verabscheue mich selbst für meine Gräueltaten. Ich sollte aber stolz sein, wie mein Vater immer sagt. Tja.. mein Vater. Seit meine Mutter verstorben ist, ist er nicht mehr der gleiche Mensch. Er ist verbittert und sieht in allem nur noch das Schlechte. Er verurteilt Menschen zu Unrecht und schaut nur auf sich. Und das schlimmste ist… Er erzählt niemandem die ganze Wahrheit, was der berüchtigte Konflikt zwischen ihm und meinem Onkel ausgelöst hat. Ich weiss es… Doch ich glaube diese Wahrheit einfach nicht. Das kann nicht sein. Wenn das ans Licht käme, wäre es aus mit meiner Familie… In 5 Tagen muss ich meine Ritter ernennen. Ich werde wieder unschuldige Menschen in die Hölle führen müssen. Jungs die noch ihr ganzes Leben vor sich hätten…Ihr Leben muss ich mit einem Schlag zerstören…

Ein Hahn weckt mich auf. Ich stehe auf und spähe über meinen Stein. Ich ziehe mich um und esse ein Stück Brot. Ich muss mir die Realität nochmals durch den Kopf gehen lassen. Ich Elura, werde also für den grossen Test trainieren. Ich werde Ritterin werden. Das erste Mädchen, das Ritterin wird. Doch ob ich bis dahin nicht schon längstens Tod bis, weiss niemand. Ich laufe Richtung Bach und steige hinein. Erstmal eine Strecke schwimmen. Das wird auch in der Prüfung enthalten sein. Dann laufe ich hinauf auf den grossen Hügel. Ich renne und renne… Oben angekommen schnappe ich mir einen Stock und fechte damit. Ich strecke einen Busch nach dem anderen nieder. Ich schliesse meine Augen und stelle mir vor, dass ich eine Rüstung trage und gegen Krieger kämpfe. Ich kämpfe, schwimme, renne, springe von Baum zu Baum, klettere, kämpfe wieder, schwimme wieder, tauche in tiefes Wasser. Jeden Tag immer wieder.

Am letzten Tag vor der Prüfung schleiche ich mich in der Nacht zum Stall neben der Burg. Ich stehle mir ein Pferd. Ich führe es durch den Hinterausgang und an den Wachen vorbei bis zu meinem Versteck. Dort schwinge ich mich auf das Pferd und reite los… Ich spüre den Wind in meinen Haaren. Ich galoppiere über die Felder und springe über die Bäche. Als ich wieder zu meinem Stein zurückkehre höre ich Hufe auf dem Kies aufschlagen. Ich kann nicht mehr ausweichen… In diesem Moment höre ich jemand hinter mir, der sein Schwert aus der Scheide zieht…

Fortsetzung folgt…

3 Gedanken zu „Die letzte Heldin II“

  1. Marlis Eichenberger

    Liebe Emelie
    Du machst das super eune sehr spannende Geschuchte mit Tiefgang. Freue mich auf die Fortsetzung.👍

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